Recht und Identität
Veröffentlicht von Gunnar Cremer in Recht · Donnerstag 11 Jun 2020
Tags: Recht, Richter, Gewalt, Identität
Tags: Recht, Richter, Gewalt, Identität
Nehmen wir das Wort "Recht" und blasen den ganzen Schnickschnack fort: die schwarzen und roten Roben der Richter, die pompösen Hallen der Gerichtsbarkeit, das formale Getue des juristischen Fachpersonals.
Worum geht es eigentlich? Im Kern nur um eine Entscheidung für eine bestimmte Richtung. Deswegen heißen Richter auch Richter. Sie hätten auch Wegweiser oder Richtungsweiser heißen können.
Zudem gibt es aufgeschriebenes Recht, festgeschriebene Richtungsweisungen. Das bedeutet einerseits Verlässlichkeit, Vorhersagbarkeit und lässt eine Gleichbehandlung erwarten.
Andererseits entmündigt es die Beteiligten. Es macht sie zu Teilen einer großen Maschine. Es automatisiert die Handlungen. Es engt die Handlungsspielräume ein. Es schreibt Zukunft fest und lässt sie damit erstarren. Absehbar werden Maschinen die Rechtsprechung ganz übernehmen.
Ziel der Rechtsprechung ist die Schaffung von Rechtsfrieden, das meint: Die Parteien sollen nicht mehr über den Weg, den sie zu gehen haben, streiten.
Traum mancher, vielleicht auch vieler Richter dürfte es sein, die richtigen Worte zu finden und dadurch die Parteien zur Einsicht und Übereinstimmung zu bringen.
Tatsächlich dürften es aber weniger die Worte sein, die überzeugen, als der hinter dem Richter wartende Gerichtsvollzieher, mithin die Gewaltandrohung.
Das Gerichtssystem hat offensichtlich keine klare Identität. Es identifiziert sich als »Verfahren der Worte«. Es identifiziert sich aber auch als »Verfahren der Gewalt« und erzeugt damit eine gravierende Irritation. Schließlich ist es auch identifiziert mit dem Artefakt der »Festschreibungen« (Gesetze, Einzelfallentscheidungen) und irritiert dadurch die Kommunikation und die Fähigkeit, interessengerechte Lösungen erkennen und auszuwählen.
Die fehlende Klarheit darüber produziert am laufenden Band Enttäuschungen und Kompensierungen bei allen Beteiligten.
Teilnehmer einer Mediation haben diese Identitätsprobleme nicht. Im Mediationsverfahren sind Gewalt und fremde Festschreibungen grundsätzlich nicht zulässig. Daher ist die Kraft der Worte entscheidend. Daher kann sich jeder in seiner natürlichen Sprache ausdrücken. Daher können interessengerechte und nichtaggressive Lösungen gefunden werden. Diese Chance und diese Bereicherung sollte man sich nicht entgehen lassen.