Mediation und Wahrheit

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Mediation und Wahrheit

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Veröffentlicht von Gunnar Cremer in Mediation · Freitag 01 Dez 2023
Die Wahrheit unterscheidet sich von dem, was war, durch das »h«. Wahrheit ist durch das »h« mehr als das, was bloß war.
Wofür steht das »h«? Wenn man das "h" spricht, ist es fast nur ein Atemgeräusch. Es hat also einen Bezug zum Lebendigen, zum Atem.

Beobachtet man Streitende, so beobachte man den Atem. Am Atem bemerkt man, wie sehr es um das Lebendige geht.

Oft streiten sich die Menschen, bis ihnen der Atem wegbleibt. Bleibt der Atem weg, tauchen Ohnmachtsgefühle auf. Tauchen Ohnmachtsgefühle auf, schaltet der Mensch auf archaische Programme um: Angriff, Flucht oder Erstarrung. Das archaische Programm läuft zweimal ab. Das erste Mal beim Argumentieren. Angriff mit Argumenten und Beweismitteln oder Flucht in andere Argumente oder Beweismittel oder Erstarren durch schlichtes Überhören, Taubstellen.
Das zweite Mal nach dem Sprechen. Angriff durch Schreien, Drohen, Schlagen, Flucht durch Fortlaufen, Türenknallen, Erstarren durch Erstarren.

Man kann über Wahrheit nicht reden, wenn man nicht auch über den Atem reden will, mithin über das, was Luft zum Atmen lässt oder nimmt. Das wird regelmäßig vergessen. Der Körper zeigt es an: Atemnot, Herzrasen, ...

In der Mediation geht es um den Atem. Man sucht nach Lösungen, bei denen die Beteiligten für ihr Leben ausreichend Luft bekommen. Darum geht es bei der Wahrheit: Atmen. Luft bekommen.

Und darum ist es so wichtig, Wahrheit immer in Beziehung zu einer lebendigen Person in einer lebendigen Situation zu setzen. So gesehen gibt es keine abstrakte, allgemeine Wahrheit, sondern nur um konkrete Wahrheiten lebendiger Wesen. Es geht um die konkrete Wahrheit desjenigen, der spricht und desjenigen, der zuhört; oder um die konkrete Wahrheit einer konkreten, lebendigen Gemeinschaft.

Nehmen wir als Beispiel die Diskussion darüber, ob die Welt eine Scheibe oder eine Kugel ist. Solange der Mensch ungehindert und frei auf einer Scheibe leben kann, darf die Welt eine Scheibe sein. Man kann auch auf einer Scheibe glücklich leben. Erst wenn ein Beteiligter das Gefühl bekommt herunterzufallen und ihm deswegen der Atem stockt, wird man Lösungen suchen müssen, die das freie Atmen ermöglichen.

Oder ein aktuelles Beispiel: Klimawandel. Solange der Mensch ungehindert und frei mit einem Klimawandel leben kann, darf das Klima sich wandeln. Man kann auch mit einem Klimawandel glücklich leben, das finden jedenfalls die Urlauber, die in andere Klimazonen reisen. Erst wenn ein Beteiligter den Wandel als Bedrohung empfindet und ihm der Atem stockt, wird man Lösungen suchen müssen, die das freie Atmen ermöglichen.

Und dann ist es wichtig, dicht am Atem zu bleiben: In welcher konkreten Situation stockt der Atem? Konkretheit ist wichtig, denn sie schützt vor Geistern, die bekanntlich mangels Substanz nicht zu fassen sind.


Gunnar Cremer * Mediator und Rechtsanwalt * Engertstr. 12 * 04177 Leipzig * info@me-tabula.de
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